Interview mit Thepakos+
Dieses Interview entstand im Dezember 2011 und wurde in der Fachzeitschrift Thepakos+, Interdisziplinäre Zeitschrift für Theater und Theaterpädagogik in der Ausgabe 17, Dez./Jan. 2011/12 abgedruckt:
Thepakos: Wer sind und seit wann gibt es die „Theaterteamer“ und was ist das Besondere an dem Trio?
Die Theaterteamer sind ein interdisziplinärer Zusammenschluss von TheaterpädagogInnen mit Zusatzqualifikationen aus den Bereichen Pädagogik, Erzählkunst, Musik und Tanz.
Sie entstanden Ende 2008 aus einer Arbeitsgemeinschaft von Judith Hahn und Kolja Kaldun, die sich zu dieser Zeit noch in der Ausbildung zum Theaterpädagogen/ zur Theaterpädagogin (BuT) befanden.
Die Kollegin Christine Lander ist Anfang 2011 dazugestoßen.
Es begann alles mit einer Anfrage an Kolja Kaldun, der hauptsächlich als Zauberkünstler auftritt. Die Kundin wünschte sich für die Kinder einer Hochzeitsgesellschaft ein Zauberprogramm, damit diese für eine Stunde „ein wenig beschäftigt“ seien.
Aus unserer Erfahrung heraus werden allerdings Familienfeiern für Kinder schnell langweilig. So konnten wir die Auftraggeberin anstelle einer kurzen Zaubervorstellung für ein ganztägiges Angebot zum Thema „Zirkus“ gewinnen. Dies war die Geburtsstunde für das theaterpädagogische Konzept „Traut Euch – Manege frei“.
Das offene Angebot hatte das Ziel, einen abwechslungsreichen Tag mit Spiel, Musik und Bewegung zu gestalten. Gleichzeitig wurde zusammen mit den Kindern ein Beitrag für das abendliche Unterhaltungsprogramm erarbeitet.
Die Vorteile lagen auf der Hand: die Kinder waren nicht nur den ganzen Tag sinnvoll beschäftigt, sondern gleichzeitig mit einem Programmpunkt in die Hochzeitsfeierlichkeiten integriert. Außerdem konnten die Eltern von uns als erfahrene PädagogInnen entlastet werden und unbeschwert mit dem Brautpaar feiern.
Das Resultat dieses Tages: die Kinder hatten viel Spass, die Hochzeitsgäste waren begeistert und die „Theaterteamer“ geboren.
Durch die Rückmeldung der Auftraggeberin und der Gäste motiviert, erkannten wir hier einen Bedarf, der über die sonst üblichen Kinderanimationen hinausging.
So entstand die Idee eines Projektverbunds mit der gemeinsamen Internetpräsenz www.theater-teamer.de.
Hier galt es auch bald weitere Projektangebote einzustellen. Da jede/r TeamerIn hauptberuflich in anderen Arbeitsfeldern tätig ist, hat jede/r in seinem Arbeitsumfeld eine Bedarfsanalyse durchgeführt, Ideen gesammelt und mögliche Zielgruppen angesprochen.
„Mobbing & Gewalt“ (in der Schule) war eines der am häufigsten genannten Themen und war zu dieser Zeit auch in den Medien sehr präsent.
Dies veranlasste uns, ein Anti-Mobbing Projekt zu entwickeln:
Nach unserem Verständnis sollte dieses Projekt nicht auf mögliche „Täter“ oder „Opfer“ in einem Klassenverband fokussieren.
Für uns gilt es zunächst herauszufinden, ob sich in der Klasse bereits Mobbingstrukturen etabliert haben, um dann im laufenden Arbeitsprozess entweder präventiv oder intervenierend zu arbeiten. Dazu wenden wir sowohl sozialpädagogische als auch theaterpädagogische Methoden und Arbeitsweisen an.
Durch Spiel, Improvisation und szenische Arbeit nähern wir uns dem Thema „Mobbing und Gewalt“ und schöpfen behutsam aus dem Erfahrungsschatz der Kinder.
Die Abschlusspräsentation kann je nach Länge des Projekts und der vorherrschenden Probleme nur ein Zwischenziel im laufenden Prozess bilden. Auf jeden Fall werden SchülerInnen und LehrerInnen für ein „gewaltiges“ Thema sensibilisiert.
Thepakos: In Ihrem Teamverständnis gehen Sie auf das Improvisationstheater ein. Wie verknüpfen Sie Teamverständnis und Improvisationstheater?
Unser Team lebt wie auch das Improvisationstheater vom symbiotischen Zusammenspiel und der gegenseitigen Inspiration.
In der Entwicklungsphase von Konzepten bringt jede/r seine eigenen Stärken und Fähigkeiten ein. Ideen können erst mal ohne eine (mentale) Begrenzung gesponnen werden. Dazu gehört auch die Bereitschaft sich stets auf Neues einzulassen.
Wenn es um die Durchführung von Projekten geht, sind wir immer offen für „Planänderungen“, gehen spontan aufeinander ein und werfen uns gegenseitig die „Bälle“ zu.
Thepakos: Wie sieht das theaterpädagogische Verständnis von den „Theaterteamern“ aus?
Im Vordergrund unserer theaterpädagogischen Arbeit steht das kreative Potential der TeilnehmerInnen, welches die Grundlage für das „Produkt“ am Ende eines Projekts bildet. Es geht uns nicht darum, unsere Ideen und Vorstellungen durchzusetzen, sondern vielmehr gemeinsam eine Aufführung spielerisch zu erarbeiten.
Dabei steht bei Projektbeginn die Präsentation für uns nicht unbedingt im Mittelpunkt, sondern zunächst die prozessorientierte Arbeit dorthin. Während des Prozesses stehen wir je nach Zielgruppe anleitend oder nur beratend für künstlerisch-ästhetische Fragen zur Seite.
Ziel ist es ein Endprodukt zu entwickeln, mit dem sich alle Beteiligten identifizieren können.
Thepakos: Wo liegen Ihre Schwerpunkte in Ihrem theaterpädagogischen Angebot?
Aufgrund unserer gemeinsamen und unterschiedlich erlernten Disziplinen und Vorerfahrungen können wir eine Vielfalt an theaterpädagogischen Arbeitsfeldern abdecken.
Neben unseren bereits bestehenden Angeboten (Fu-Jo Stockkampftanz, Anti-Mobbing, Spezialseminare für Trainer, Coaches und Weiterbildner, usw.) entwickeln wir auf Wunsch des Kunden speziell zugeschnittene Projekte, Workshops und Seminare.
Momentan besteht eine große Nachfrage für Projekte mit Schulklassen, in denen es vor allem um die Stärkung und den Zusammenhalt der Klassengemeinschaft geht.
Thepakos: Wie verknüpfen Sie im Rahmen Ihrer Arbeit künstlerisch-ästhetische, pädagogische und unterhaltende Ansprüche miteinander?
In unseren Fu-Jo-Projekten zum Beispiel verbinden wir Elemente aus dem Tanz mit Kampftechniken aus dem Stock- und Schwertkampf zu einer Tanz- und Bewegungsperformance.
Über die Elemente “Tanz” und “Kampf” fühlen sich Jungen und Mädchen gleichermaßen angesprochen. Zudem sind Stöcke und Schwerter sehr attraktive Materialien.
Unsere pädagogischen Ziele in diesem Projekt variieren je nach Auftragswunsch. Im Vordergrund steht das Erlernen eines respektvollen Umgangs mit den TrainingspartnerInnen, die Achtsamkeit für die Gruppe und ganz einfach der Spaß an der Bewegung. Neben dem Techniktraining und den vorgegebenen Choreographien ist ebenfalls Kreativität gefordert. So gibt es immer wieder Kleingruppenarbeiten, in der die TeilnehmerInnen Bewegungssequenzen und Choreografievorschläge entwickeln, die im Plenum präsentiert werden. Diese Module werden gemeinsam ausgewertet und mit der Grundchoreografie kombiniert. Am Ende entsteht eine Performance, die hauptsächlich aus den Ideen der TeilnehmerInnen schöpft.
Thepakos: Sie arbeiten immer auch an und in unterschiedlichen Projekten: Wie kommen diese zustande, wie werden sie initiiert, wie erarbeiten sie sich diese?
Alle TeamerInnen arbeiten hauptberuflich in unterschiedlichen Bereichen und eigenständigen theaterpädagogischen Projekten.
Je nach Bedarf und freien Kapazitäten kombinieren sie bei speziellen Anfragen ihre Fähigkeiten, entwickeln gemeinsam das Konzept und leiten das Projekt in diesem Team an.
Aufträge werden einerseits durch unsere Internetpräsenz generiert. Andererseits nutzt jede/r TheaterteamerIn sein bereits bestehendes Netzwerk für Werbung.
Über ein solches Netzwerk entstand beispielsweise auch die Mitwirkung von Christine Lander und Kolja Kaldun an einem internationalen Straßentheaterprojekt im Irak (26.06-12.07.2011).
Das Projekt war eine Kooperation zwischen dem deutschen Goethe-Institut und dem französischen Insitut-Francais, gefördert durch den Deutsch-französischen Fonds für Kulturprogramme in Drittstaaten.
Dieser Workshop wurde von zwei französischen KünstlerInnen und den Theaterteamern Christine Lander und Kolja Kaldun angeleitet.
Das Projekt war als Multiplikatorenworkshop angelegt und richtete sich an lokal ansässige PädagogInnen und KünstlerInnen.
Die 20 Teilnehmer konnten hier zwischen Akrobatik, Clownerie und Geschichtenerzählen, sowie Körpertheater und Pantomime wählen.
In der ersten Woche erarbeiteten die erwachsenen TeilnehmerInnen Techniken und theaterpädagogische Grundlagen, um dann in der zweiten Woche diese erworbenen Kenntnisse in der praktischen Arbeit umzusetzen.
Dazu wurden in der zweiten Woche 40 Kinder u.a. aus dem irakischen Waisenhaus Erbil eingeladen.
Christine Lander und Kolja Kaldun kombinierten das Geschichtenerzählen mit dem Körpertheater und der Pantomime.
Hier lernten die TeilnehmerInnen die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten kunstvoll zu erzählen und mit Mime in die Bildersprache umzusetzen.
Auf einer öffentlichen Abschlussveranstaltung mit mehr als 600 Gästen, konnten alle Beteiligten ihre neu erworbenen Fähigkeiten präsentieren.
Thepakos: Wenn Sie die Theaterteamer in Zukunft sehen, wo sehen Sie sich in 10 Jahren? Gibt es Ideen, Projekte, die Sie vorbereiten oder gesellschaftlich als notwendig erachten?
Jeder von uns hat unterschiedliche Handlungsfelder und Arbeitsschwerpunkte und so nutzen wir derzeit unseren Projektverbund als Experimentierfeld für die eigene Spezialisierung.
Ein weiterer Vorteil unserer Zusammenarbeit liegt darin, dass wir uns in der Planung und Durchführung von Projekten gegenseitig entlasten und voneinander lernen.
In der Praxis findet eine ständig Reflexion der laufenden Arbeitsprozesse statt, da wir uns in den Rollen der/ des AnleiterIn und BeobachterIn abwechseln.
Wir sind somit eine kleine „lernende Organisation“, die mit jedem Auftrag wächst und sein Netzwerk erweitert.
Es gibt die Vision eines eigenen theaterpädagogischen Zentrums, einer Fortbildungsstätte für LehrerInnen, PädagogInnen und WeiterbildnerInnen.
Dies hat aber durchaus auch praktische Gründe: Es wäre das häufig auftretende Problem von geeigneten Räumlichkeiten gelöst.
Damit wäre aber auch für Kolleginnen und Kollegen ein Ort geschaffen, der speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist und gleichzeitig Raum für den Austausch und die Vernetzung bietet.
Thepakos: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was würden Sie sich für Ihre theaterpädagogische Arbeit im Besonderen und der Theaterpädagogik in Deutschland im Allgemeinen wünschen?
Wir wünschen uns für jegliche theaterpädagogische Arbeit mehr Anerkennung und Wertschätzung.
Trotz des Bewusstseins, dass künstlerische und pädagogische Arbeit sehr sinnvoll ist, scheitern viele Projekte schon im Vorfeld an ihrer Finanzierung.
Theaterpädagogische Projekte übernehmen unserer Meinung nach häufig eine Art „Feuerwehr-“ Funktion, da sie erst nachdem „das Kind in den Brunnen gefallen ist“ initiiert werden.
Wir hoffen deshalb, dass sich in Zukunft langfristige und präventiv angelegte Projekte mit einer gesicherten und angemessenen Finanzierung durchsetzen.
"Eine Idee muss Wirklichkeit werden können, oder sie ist nur eine eitle Seifenblase."
(Berthold Auerbach)